Kommissionsvorschlag für ein Gesetz über digitale Märkte: Regulierung systemrelevanter digitaler Plattformen

Am Dienstag hat die Europäische Kommission ihre lang erwarteten Vorschläge für das Gesetz über digitale Märkte („GDM“) vorgelegt. Im Falle seiner Verabschiedung wird das Gesetz die Art und Weise, wie digitale Plattformen in der EU betrieben werden dürfen, radikal verändern. Nach den jüngsten, öffentlichkeitswirksamen Klagen der US-Wettbewerbsbehörden gegen Google und Facebook ist das GDM der von der EU vorgeschlagene Ansatz, um digitale Märkte "offen und wettbewerblich" zu halten und effektiven Wettbewerb in den Bereichen der größten digitalen Plattformen zu bewahren. Das GDM soll die bereits seit langem bestehenden Bedenken der Kommission adressieren, dass ihre bisherigen Durchsetzungsbefugnisse weder ausreichen, um Wettbewerbsbedenken in den sich schnell wandelnden digitalen Märkten auszuräumen, noch eine hinreichend abschreckende Wirkung für die größten digitalen Akteure entfalten.

Auf den Punkt gebracht

Zu diesem Zweck würde das GDM großen sogenannten Gatekeeper-Plattformen eine Reihe von Pflichten auferlegen, die potenziell weitreichende Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der bedeutendsten digitalen Akteure haben könnten. Auch für die Geschäftspartner dieser Plattformen hätte dies Folgen.

Das GDM soll der Kommission auch weitreichende Durchsetzungsbefugnisse einräumen, um die effektive Umsetzung der Regelungen zu gewährleisten. Im Einklang mit den kartellrechtlichen Vorschriften der EU soll die Kommission umfassende Ermittlungsbefugnisse sowie die Möglichkeit haben, bei Verstößen Geldbußen von bis zu 10% des weltweiten Umsatzes zu verhängen. Als erhebliche Verschärfung der Durchsetzungsbefugnisse könnte die Kommission außerdem bei Plattformen, die systematisch gegen die Regeln verstoßen haben, die Veräußerung von Geschäftsbereichen erzwingen (nach Durchführung einer Marktuntersuchung).

Die Einführung des GDM würde einen grundlegenden Kurswechsel der Kommission in digitalen Märkten bedeuten: von der nachträglichen Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen zur Prävention. Die Ex-ante-Regeln des GDM adressieren viele Probleme, die die Kommission auch bereits mit ihren bisherigen Durchsetzungsbefugnissen aufgegriffen hat. Dieser Kurswechsel wirft daher auch praktische Fragen dazu auf, welchen Einfluss das GDM auf laufende Verfahren der Kommission haben würde. Zwar hat die Kommission klargestellt, dass sie ihre Durchsetzungstätigkeit unverändert fortsetzen wird. Das GDM hat jedoch das Potenzial, die praktische Bedeutung vieler laufender Untersuchungen der Kommission in digitalen Märkten erheblich zu verringern.

Zusätzlich sollen Gatekeeper die Kommission künftig über alle geplanten Transaktionen im digitalen Bereich informieren – unabhängig davon, ob diese bei der Kommission oder einer nationalen Wettbewerbsbehörde anmeldepflichtig sind. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommission ihre Befugnisse nach Artikel 22 der EU-Fusionskontrollverordnung nutzen könnte, um Transaktionen im Technologiebereich, die unter den Schwellenwerten der EU-Fusionskontrollverordnung liegen, proaktiver zu prüfen.

Der GDM-Vorschlag der Kommission ist aber nur der erste Schritt in einem langen Gesetzgebungsprozess. Angesichts des wegweisenden Charakters des Gesetzes ist in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einer eingehenden Prüfung durch das Europäische Parlament und den Rat zu rechnen. Es steht viel auf dem Spiel und es ist eine spannende Frage, welche Vorschläge letztlich überhaupt Eingang in das Regelwerk finden werden.

Dieser Client Alert fasst den Inhalt des GDM und den voraussichtlichen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens in den kommenden Monaten zusammen. Für weitere Informationen zum Gesetz über digitale Dienste und GDM, siehe unsere Insights.

Wer fällt in den Anwendungsbereich?

Das GDM soll nach den Vorschlägen das Verhalten großer Online-Plattformen regulieren, die als "Gatekeeper" bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um Plattformen, die "am unmittelbarsten zwischen gewerblichen Nutzern und Endverbrauchern vermitteln", auf Märkten, die sich durch extreme Skaleneffekte, sehr starke Netzwerkeffekte und ein Fehlen von Multihoming auszeichnen.

Das GDM definiert einen Gatekeeper als einen Anbieter von "zentralen Plattformdiensten", der (i) erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat, (ii) einen wichtigen Zugangspunkt zu Endverbrauchern betreibt und (iii) bei seiner Tätigkeit eine "gefestigte und dauerhafte Position" entweder gegenwärtig oder absehbar "in naher Zukunft" innehat. Der Entwurf enthält eine abschließende Aufzählung zentraler Plattformdienste, die Online-Suchmaschinen, Online-Vermittlungsdienste, Online-Soziale-Netzwerkdienste, Video-Sharing-Plattformen, Betriebssysteme, interpersonelle Kommunikationsdienste, Cloud Computing und Werbedienstleistungen umfasst.

Es gibt zwei weit gefasste quantitative Tests zur Bestimmung von Gatekeepern:

  • Test der Unternehmensgröße: Das betreffende Unternehmen (a) erzielte in den letzten drei Geschäftsjahren jeweils einen EWR-weiten Jahresumsatz von mindestens 6,5 Mrd. EUR oder hatte eine durchschnittliche Marktkapitalisierung von 65 Mrd. EUR und (b) bietet in mindestens drei Mitgliedstaaten einen zentralen Plattformdienst an;
  • Test des zentralen Plattformdienstes: Der relevante zentrale Plattformdienst hat 45 Millionen monatlich aktive Endverbraucher in der EU und mehr als 10.000 jährlich aktive gewerbliche Nutzer in den letzten drei Jahren.

Das GDM lässt jedoch eine gewisse Flexibilität zu und diese quantitativen Kriterien sind nicht endgültig. Für Unternehmen, die die quantitativen Kriterien erfüllen, besteht eine Vermutung, dass sie Gatekeeper sind. Die betroffenen Unternehmen können die Vermutung aber widerlegen. Und die Kommission kann ein Unternehmen immer noch als Gatekeeper einstufen, wenn es den Test der Unternehmensgröße, aber nicht den Test des zentralen Plattformdienstes erfüllt. So kann Sie beispielsweise im Hinblick auf digitale Plattformen vorgehen, die „voraussichtlich in naher Zukunft eine gefestigte und dauerhafte Position einnehmen werden“. Damit sollen Märkte erfasst werden, die vermeintlich zum so genannten “Tipping“ neigen.

Das GDM reguliert zentrale Plattformdienste, nicht das jeweilige Unternehmen. Dies bedeutet, dass eine Plattform als Gatekeeper für einen oder mehrere zentrale Plattformdienste eingestuft werden kann (z.B. Suchmaschine und soziales Netzwerk). Das bedeutet auch, dass die Pflichten nach dem GDM nicht für alle Tätigkeiten der Plattform gelten sollen, sondern nur für diejenigen, auf die sich die Einstufung nach dem GDM bezieht. Nach Inkrafttreten des GDM müssten digitale Akteure selbst beurteilen, inwieweit sie und ihre Dienste die oben genannten Kriterien erfüllen. In diesem Fall müssten sie die Kommission entsprechend informieren, wobei sie die Möglichkeit hätten, eine Einstufung als Gatekeeper zu beanstanden. Das GDM sieht auch die Möglichkeit einer Überprüfung vor, ob der zentrale Plattformdienst des Unternehmens regulierungsbedürftig ist oder ob zusätzliche Dienste der Einstufung nach dem GDM unterliegen sollten.

Welche Pflichten hat ein Gatekeeper?

Sobald ein digitales Unternehmen von der Kommission als "Gatekeeper" eingestuft ist, legt das GDM Pflichten für dessen zentrale Plattformdienste fest (Verbote und Gebote). Diese sollen als "unfair" eingestufte Geschäftspraktiken unterbinden und die Offenheit zentraler Plattformdienste für den Wettbewerb sicherstellen. Die verbotenen Praktiken sind weitgehend aus der Fallpraxis der Kommission in früheren und laufenden Wettbewerbsverfahren im digitalen Sektor bekannt. Aber in einigen Fällen gehen sie deutlich über das hinaus, was wir bisher gesehen haben.

Die Pflichten aus dem GDM lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Eine Liste eindeutiger Pflichten und eine Reihe von Pflichten, die weiter konkretisiert werden können. Dabei gibt es sowohl übergreifende Regeln, die für mehrere zentrale Plattformdienste und digitale Dienste gelten, als auch sektorspezifische Regeln, z.B. für digitale Werbung.

Die eindeutigen Pflichten für die designierten zentralen Plattformdienste von Gatekeepern beinhalten größtenteils Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit der Gatekeeper, insbesondere gegenüber ihren gewerblichen Nutzern. Danach dürften Gatekeeper folgendes nicht mehr tun:

  • personenbezogene Daten aus ihren zentralen Plattformdiensten mit Daten aus anderen Quellen (einschließlich anderer vom Gatekeeper angebotener Dienste) zusammenführen;
  • die Freiheit gewerblicher Nutzer beschränken, Geschäfte mit Endverbrauchern außerhalb des Ökosystems des Gatekeepers zu tätigen (während die Endverbraucher weiterhin über das jeweilige Ökosystem auf den entsprechenden Dienst zugreifen und ihn nutzen können);
  • gewerbliche Nutzer verpflichten, bei der Bereitstellung ihrer Leistungen über die zentralen Plattformdienste des Gatekeepers einen Identifizierungsdienst des Gatekeepers zu nutzen, anzubieten oder damit zu interoperieren.

Die komplexeren Pflichten beinhalten eine Reihe von Bestimmungen, die von Gatekeepern verlangen würden, gewerblichen Nutzern und Endverbrauchern mehr Zugang zu gewähren. Diese Pflichten müssten für verschiedene zentrale Plattformdienste voraussichtlich in unterschiedlicher Art und Weise angewendet werden. Ohne weitere Konkretisierung können sie daher nicht genau abgegrenzt werden.

Danach müssten Gatekeeper insbesondere:

  • die Installation und Nutzung von Software oder App-Stores von Drittanbietern zulassen, die mit den zentralen Plattformdiensten des Gatekeepers interoperabel sind;
  • ihre eigenen Leistungen bei Ranking-Diensten (z. B. in Suchalgorithmen) nicht bevorzugen und ganz grundlegend solche Ranking-Dienste diskriminierungsfrei anbieten;
  • gewerblichen Nutzern und Dritten Zugang zu solchen Daten, einschließlich Verbraucherdaten, gewähren, die für die Nutzung zentraler Plattformdienste „zur Verfügung gestellt oder im Zusammenhang damit erzeugt werden".

Um die Wirksamkeit dieser komplexeren Pflichten zu gewährleisten (und die Schwierigkeiten ihrer Konkretisierung im Vorfeld zu überwinden), überlässt die Kommission die Einhaltung der Vorschriften in erster Linie den Gatekeepern. Sollte die Kommission jedoch der Ansicht sein, dass ein Gatekeeper die Vorschriften nicht einhält, kann sie nach einer Untersuchung Abhilfemaßnahmen verfügen (die festlegen würden, was der Gatekeeper tun muss).

Wozu dient die Möglichkeit der Marktuntersuchung?

Die Möglichkeit der Marktuntersuchung geht auf die Vorschläge für ein "Neues Wettbewerbsinstrument" zurück, die im Sommer diskutiert wurden (siehe hierzu unsere Insights).

Seit diesen Diskussionen wurde das Instrument der Marktuntersuchung erheblich überarbeitet – und von einem geplanten eigenständigen Instrument auf eine die Ex-ante-Regeln des GDM ergänzende Funktion reduziert. Obwohl es jetzt weitgehend eine Hilfsfunktion im GDM ausübt, spielt das Instrument immer noch eine zentrale Rolle für die Sicherstellung der langfristigen Wirksamkeit und Durchsetzung des GDM.

Die Marktuntersuchung würde drei Hauptaufgaben erfüllen:

  • Einstufung als Gatekeeper: Sie würde der Kommission ermöglichen, Unternehmen, die den Test des zentralen Plattformdienstes nicht erfüllen, als "Gatekeeper" einzustufen. Dies würde die Kommission insbesondere in die Lage versetzen, Unternehmen zu regulieren, die auf Märkten tätig sind, bei denen ein Tipping erwartet wird (und die daher reguliert werden sollen, bevor ein Anbieter zentraler Plattformdienste Marktmacht erlangt).
  • Erweiterung der zentralen Plattformdienste und der Pflichten der Gatekeeper: Sie würde der Kommission die Möglichkeit geben, den Anwendungsbereich des GDM zu erweitern, und zwar hinsichtlich der Frage, welche Leistungen als "zentrale Plattformdienste" eingestuft werden, und hinsichtlich der Frage, welche Pflichten Gatekeeper-Plattformen haben.
  • Durchsetzung der Pflichten aus dem GDM: Die Marktuntersuchungsfunktion würde es der Kommission auch erlauben, strenge Abhilfemaßnahmen – einschließlich struktureller Abhilfemaßnahmen – gegen Gatekeeper zu ergreifen, die systematisch gegen ihre Pflichten aus dem GDM verstoßen.

Die Bestimmungen zur Marktuntersuchung im GDM-Entwurf stellen derzeit kein zusammenhängendes, einheitliches Instrument dar. Das Konzept wird stattdessen verwendet, um verschiedene Verfahren für die wirksame Handhabung und Durchsetzung des GDM zu bündeln, und damit Ermessensspielräume und Flexibilität in einem ansonsten starren Regelungsrahmen zu schaffen. So sieht das GDM beispielsweise je nach Verwendungszweck unterschiedliche Zeiträume für Marktuntersuchungen vor. Die Kommission hat 12 Monate für eine Marktuntersuchung Zeit, um eine Entscheidung zur Einstufung eines Unternehmens als Gatekeeper zu treffen. Aber sie hat 24 Monate Zeit, um einen Bericht darüber zu veröffentlichen, ob der Anwendungsbereich des GDM erweitert werden soll (und letztendlich zu entscheiden, ob sie zu diesem Zweck Änderungen oder delegierte Rechtsakte vorschlägt).

Durchsetzung und Sanktionen

Das GDM sieht ähnliche Durchsetzungsmechanismen vor, wie sie der Europäischen Kommission derzeit im Rahmen der Wettbewerbsregeln zur Verfügung stehen. Die Kommission hätte weitreichende Befugnisse, zu ermitteln, Bußgelder bei mangelnder Kooperation zu verhängen, und schließlich Bußgelder von bis zu 10% des weltweiten Umsatzes eines Gatekeepers für Verstöße gegen das GDM zu verhängen.

Wie oben dargelegt, wird die Kommission darüber hinaus auch die Befugnis haben, im Falle von systematischen Regelverletzungen strukturelle Abhilfemaßnahmen zu verhängen – d.h. die Entflechtung des Geschäfts eines Gatekeepers anzuordnen.

Steht noch mehr auf dem Programm?

Gatekeeper müssten die Kommission auch über geplante Zusammenschlüsse oder Übernahmen informieren, an denen ein anderer Anbieter zentraler Plattformdienste oder anderer digitaler Dienste beteiligt ist – unabhängig davon, ob die Transaktion nach der EU-Fusionskontrollverordnung oder den Fusionskontrollvorschriften der EU-Mitgliedstaaten anmeldepflichtig ist. Zwar handelt es sich hierbei lediglich um eine Informationspflicht. In Verbindung mit der von der Kommission vorgeschlagenen Anwendung des Verweisungsmechanismus gemäß Artikel 22 der EU-Fusionskontrollverordnung eröffnet die Bestimmung jedoch die Perspektive, dass die Kommission die Informationen nutzt, um eine stärkere Aufsicht über Technologie-Transaktionen auszuüben, die andernfalls nicht in die ihre Zuständigkeit (sowie die Zuständigkeit anderer nationaler Wettbewerbsbehörden) fallen würden.

Wie geht es weiter?

Zwar ist der GDM-Vorschlag der Kommission ein wichtiger Meilenstein, er ist aber nur der erste Schritt im Gesetzgebungsverfahren. Nach einem Vorschlag der Kommission dauert das Gesetzgebungsverfahren bis zum Erlass eines Rechtsaktes im Durchschnitt 18 Monate. Bei umstrittenen Gesetzen kann es jedoch deutlich länger dauern, bis sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament zustimmen. Angesichts der großen Reichweite des Vorschlags erwarten wir eine beispiellose Lobbyarbeit, scharfe Debatten und intensive Verhandlungen, bevor das GDM frühestens im Jahr 2023 in Kraft tritt. Für alle Seiten steht viel auf dem Spiel, und zweifelsohne ergibt sich für digitale Akteure und ihre Geschäftspartner und Nutzer eine Möglichkeit, die Debatte mit zu gestalten.